Chronik der Windmühlenmesser-Manufactur

Herderskotten

Alles begann im Herderskotten am Kuckesberg, wo die ersten Robert-Herder-Messer geschliffen wurden, nachdem Robert Herder sich geschäftlich von seiner Mutter und seinen Geschwistern getrennt und sich selbständig gemacht hatte. Als sich die Firma entwickelte, kam die Arbeit weiterer Schleifer in anderen Solinger Kotten hinzu, so im Kuckesberger Kotten, im Brucher Kotten und im Wipperkotten. Bis zum 2. Weltkrieg wurden hier unsere Messer von erstklassigen Schleifern geschliffen. Ab 1896 erfolgte die Klingenkontrolle, die Montage der Messer, das Verpacken und der Versand in den Gebäuden der Benrather Straße in Solingen-Ohligs.

Ein Kotten ist eine kleine eigenständige Betriebsstätte, in der Regel an einem Wasserlauf gelegen, da die Wasserkraft zum Antrieb von Schmiedehämmern,  Schleifsteinen und Pließtscheiben z.B. zum Fertigen von Messern und Scheren benötigt wurde.

Links Herderskotten, rechts Wipperkotten

Links Herderskotten, rechts Wipperkotten


Links Kuckesbergerkotten, rechts Brucher Kotten

Links Kuckesbergerkotten, rechts Brucher Kotten

Gründung und Anfänge der Firma

Unsere Firma wurde im Jahr 1872, ein Jahr nach dem Ende des Deutsch-Französischen Krieges 1871, von Robert Herder am Keusenhof gegründet. Nach dem Tod seines Vaters Daniel Herder (der Jüngere) 1874 gab es eine Erbauseinandersetzung mit seiner Mutter Rosine, geb. Schleifer, und seinen Geschwistern. Später, im Jahr 1879, verkauften ihm seine Geschwister die Ländereien und das Haus auf dem Keusenhof.

Messerklingen wurden bereits von und für Daniel Herder (den Älteren) in dem seit 1731 aktenkundigen Herderskotten, dem letzten Itterkotten am Kuckesberg an der Mündung des Lochbachs in die Itter, geschliffen und gepließtet. Er gehörte auch zum Keusenhof. Daniel Herder (der Jüngere) hatte ihn 1846 erworben. Auch später blieb der Kotten noch weiter im Besitz der Familie und wurde an Schleifer verpachtet, die dann für Robert Herder arbeiteten.


Expansion und Umzug an die Benrather Straße

Den rasanten ersten Jahren folgte ein umsichtig geplanter, kontinuierlicher Aufbau der Firma. Die Räumlichkeiten am Keusenhof wurden zu klein. Daher erwarb Robert Herder im Jahr 1895 ein Grundstück an der Benrather Straße 7. Er verlegte seinen Firmensitz dorthin und errichtete hier im Jahr 1896 ein zweistöckiges Geschäftshaus, in welchem gewohnt, verwaltet, die Ware gepackt und versendet wurde.  Zu dieser Zeit saßen die Fachkräfte unserer Firma für das Schleifen und Pließten der Klingen, die Heimarbeiter, ausschließlich in den Kotten Solingens wie dem Herderskotten, dem Wipperauer Kotten oder dem Brucher Kotten. An der Benrather Straße gab es keinen Wasserlauf, der die Energie für die Schleifsteine und Pließtscheiben hätte liefern können.

 

Neubau an der Benrather Straße und heutige Ansicht

Neubau an der Benrather Straße und heutige Ansicht


Grundriss des Firmengeländes 1900

Grundriss des Firmengeländes 1900

Elektrifizierung der Stadt Ohligs und der Bau einer Fabrikanlage

Erst 1898 begann die Elektrifizierung der Stadt Ohligs, damals noch eine selbständige Stadt, und damit nach und nach die Möglichkeit, auch ohne einen Wasserlauf eine Fertigung aufzubauen. Vorausschauend und strebsam in der technischen und kaufmännischen Arbeit trieb Paul Herder die Entwicklung der Firma auch in dieser Hinsicht voran.

Im Oktober 1900 wurde der Antrag zum Bau einer „Fabrikanlage“ gestellt, ein ca. 15 m langes Gebäude mit einem dreifachen Fenstersched in der Decke, in welchem die Heftemacherei entstehen sollte. Zwei Jahre später, 1902, entstand das Wohnhaus und es wurde eine Konzession für einen Fallhammer mit 75 kg Bär- und 1030 kg Schabottegewicht sowie für das nötige Hammer-Fundament für dieses Gebäude beantragt und erteilt.

Auch das Klingenschmieden sollte nun in der eigenen Fabrik stattfinden. Am 4. Oktober 1902 wurde der Fallhammer in Betrieb genommen. Um den weiteren Energiebedarf zu decken wurde 1904 der Bau einer Sauggasanlage als Antrieb beantragt.


Der unaufhaltbare Aufschwung Herders

Die Firma ging gut voran, sie erarbeitete sich den Ruf guter Qualität und exportierte auch stark nach Holländisch-Indien (Indonesien) sowie nach Belgien, in die Niederlande und nach Südamerika. Die Familie hielt sich sparsam und investierte fortlaufend in die Fabrik. Durch den 1. Weltkrieg wurde die positive Entwicklung unterbrochen. 1917 starb Robert Herder. Paul, sein Sohn, seit 1914 alleiniger Inhaber, führte das Unternehmen erfolgreich durch die schwierigen Nachkriegsjahre.

Die Bestrebungen, unabhängig zu produzieren gingen weiter. 1921 wurde ein Lagerschuppen gebaut. 1922 kommt ein bedeutendes Projekt hinzu, der Bau der Schleiferei. Nun ist die Firma fast in der Lage, alle Prozesse der Messerfertigung selbst durchzuführen.

 80.000 Mark betrug damals die Bausumme dieses massiven Backsteingebäudes, das auch heute noch in Benutzung ist. Aus Kostengründen wurde es nur halb so groß gebaut wie ursprünglich geplant.1926 folgt der Bau des Trockenraumes für die mechanische Trocknung der gebeizten Holzgriffe.

1927 entsteht ein offenes Gebäude, eine Art Holzschuppen zum Kochen der Griffe mit Blauholzextrakt zur Schwarzbeizung, ein Verfahren, welches auch heute noch, jedoch selten praktiziert wird.

 

Überdimensionale Ansicht des Firmengeländes (aus einem historischen Katalog)

Überdimensionale Ansicht des Firmengeländes (aus einem historischen Katalog)


Ansichten Innenhof der Messermanufactur in den 70er Jahren

Ansichten Innenhof der Messermanufactur in den 70er Jahren

Die Erfindungen Paul Herders

Die Zeit von 1921 bis 1938 ist gezeichnet vom großen Ideenreichtum Paul Herders, zum einen Verkaufsmaßnahmen betreffend und zum anderen, was die Produktentwicklung und technische Entwicklung des Betriebes angeht. Jedes Jahr wurde ein Patent oder ein Gebrauchsmusterschutz angemeldet.

Die vereinfachte Fertigungstechnik für Rasierklingen am Band, als auch die Entwicklung des hohlen Schälmessers stehen hierfür beispielhaft. Nach seinen für die Qualität und die technischen Grundlagen unserer Messer gelegten Grundsätzen fertigen wir noch heute. „Dünn, derb, nagelgehend…., gute Messer sind von Hand gemacht.“

 


Die Kriegsjahre

Der 2. Weltkrieg zog auch unsere Firma in große Mitleidenschaft. Paul Herder und seine Frau Anna versterben während des Krieges. Günter Herder kommt mit schwerer Kriegsverletzung Ende 1943 nach Hause, sein Bruder Werner, ebenfalls verletzt, kehrt später nach englischer Gefangenschaft heim.

Nach Kriegsende, den Hungerjahren und der Währungsreform 1948, nehmen die beiden Brüder die Arbeit wieder auf. Die Firma produziert wieder, die Kunden nehmen wieder Kontakt auf. Die Nachfrage nach Windmühlenmessern ist stark und der Verkauf kommt alsbald in Gang. Das In- und Auslandgeschäft wächst und die Erweiterung der Fertigung wird notwendig.

 

in der 70er Jahren war das Fahren im Hof noch erlaubt. Hier ein alter VW Bus als Firmenfahrzeug.

in der 70er Jahren war das Fahren im Hof noch erlaubt. Hier ein alter VW Bus als Firmenfahrzeug.


Bürohaus Ellerstraße: links 1966, rechts heute

Bürohaus Ellerstraße: links 1966, rechts heute

Das Unternehmen wächst weiter

1949 wird das Schleifereigebäude von 1922 mit einem zweiten Bau erweitert. 1950 werden die ersten Pläne eingereicht für einen zweigeschossigen Neu- und Erweiterungsbau des alten Scheds für die Schleiferei und die Reiderei (Griffmontage).

Als letztes Gebäude kommt 1966 das Bürohaus an der Ellerstraße 16 hinzu. Bis dato war die Benrather Str. 7, in der sich die Verwaltung im Erdgeschoss befand, die Hauptadresse gewesen. Diese änderte sich nun mit dem neuen Bürohaus zur Ellerstraße 16.